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Der Klimawandel als Herausforderung für die Trinkwasserhygiene

Eine statistische Auswertung von über 20.000 Messungen ergab, dass 12 Prozent der Warmwasser-Proben Legionellen enthielten, diese aber auch wesentlich häufiger als erwartet im kalten Trinkwasser gefunden wurden [1]. Dieser Beitrag beschreibt neben den Grundlagen der Trinkwasserhygiene zunächst die Ursachen dieser Problematik und geht im Anschluss auf Lösungsmöglichkeiten ein.

Stagnation ist der wohl kritischste Faktor für die Vermehrung fakultativ-pathogener Krankheitserreger. Dies wird eindrucksvoll durch eine große Vielzahl nationaler und internationaler Regelungen (WHO, ECDC, HSE GB, ISSO NL) bestätigt, in denen der Stagnation die primäre Rolle für eine Verschlechterung der Wasserqualität in Gebäuden beigemessen wird. Neuere Untersuchungen aus der Mikrobiomforschung zeigen, dass schon 12 Stunden Stagnation ausreichend sind, um eine signifikante Erhöhung der Bakterienzahlen zu verursachen. Der länger andauernde Kontakt von Trinkwasser mit den Werkstoffen (z. B. Rohrleitungs- und Armaturenwerkstoffe) kann zu einer Aufkonzentrierung von Nährstoffen durch Migration von Werkstoffbestandteilen in das Trinkwasser führen. Eine Kombination aus schlechter Werkstoffqualität (z. B. nicht DIN EN 16421 geprüfte Materialien), Stagnation und ungünstiger Wasserbeschaffenheit fördern starke Biofilm-Entwicklung, in dessen Schutz sich auch fakultative Krankheitserreger – im internationalen Schrifttum sehr kennzeichnend als OPPP (Opportunistic Pathogens Premise Plumbing) bezeichnet – vermehren können. Des Weiteren fehlt in Stagnationsphasen ein Abtransport und damit eine Verdünnung der in den Wasserkörper gelangten Nährstoffe und der planktonischen Mikroorganismen.

Bild 1: Innere und äußere Wärmelasten sorgen für eine Erhöhung der Kaltwassertemperatur.
Quelle: Kemper
Bild 1: Innere und äußere Wärmelasten sorgen für eine Erhöhung der Kaltwassertemperatur.

Zusätzlich gleichen sich in Stagnationsphasen auch bei normgerechter Dämmung der Rohrleitungen die Temperaturen des Trinkwassers an die Temperaturen der Umgebungsluft an, die dann im Vermehrungsbereich der Erreger liegen. Niedrige Temperaturen bieten den Erregern schlechte oder keine Wachstumsbedingungen. Temperaturen nahe dem Wachstumsoptimum ermöglichen ein schnelles Wachstum. Bei Legionellen, atypischen Mykobakterien, aber auch bei P. aeruginosa sind Temperaturbereiche zwischen > 25 °C und < 55 °C, insbesondere aber 30 bis 42 °C strikt zu vermeiden. Häufig übersehen wird dabei der Kaltwasserbereich, in dem es durch Wärmeübergang von der Umgebungsluft auf das Kaltwasser zum regelhaften und über längere Zeiträume andauernden Überschreiten von 25 °C kommen kann.

Bild 2: Tägliches Spülvolumen zur Temperaturhaltung des kalten Trinkwassers unter 23 °C, in Abhängigkeit der Außenlufttemperatur, in einem Verwaltungsgebäude in Nordrhein-Westfalen.
Quelle: Kemper
Bild 2: Tägliches Spülvolumen zur Temperaturhaltung des kalten Trinkwassers unter 23 °C, in Abhängigkeit der Außenlufttemperatur, in einem Verwaltungsgebäude in Nordrhein-Westfalen.

Um das Wachstum von Mikroorganismen zu minimieren, müssen neben der Stagnationsvermeidung und der Begrenzung des Nahrungsangebotes insbesondere die Temperaturbereiche vermieden werden, die im Wachstumsoptimum der Erreger liegen und die das Mikrobiom für den Aufwuchs von OPPP positiv konditionieren. Als sichere Temperatur wird in der DVGW-Wasserinformation 90 [2] nur eine Temperatur von < 20 °C angesehen. Das entspricht auch vielen internationalen Vorgaben.

Aus der Formulierung in der DVGW-Wasserinformation 90, dass bei Trinkwassertemperaturen unter 20 °C nur sehr selten Legionellen nachgewiesen werden, muss geschlossen werden, dass das Risiko einer Kontamination des kalten Trinkwassers mit Legionellen erst dann auf ein Minimum reduziert ist, wenn die Kaltwassertemperaturen dauerhaft unter 20 °C gehalten werden können. Mit höher zugelassenen Grenztemperaturen erhöht sich daher sukzessiv auch das Betriebsrisiko.

Und hier liegt das Problem!

Einfluss innerer Wärmelasten

In Installationsbereichen sorgen neben warmgehenden Leitungen der Sanitär- und Heizungstechnik weitere Wärmequellen, zum Beispiel aus der Elektro- und Lüftungstechnik, für Lufttemperaturen, die erfahrungsgemäß deutlich höher liegen als 25 °C. Der Wasserinhalt einer hier installierten kalten Trinkwasserleitung wird selbst bei hochwertiger Dämmung gemäß DIN 1988-200 [3] in einer kurzen Stagnationsphase bis auf Umgebungstemperatur erwärmt. In einem ersten Schritt müssen zunächst die bisher üblichen Installationsgewohnheiten unter der Zielsetzung einer konsequenten thermischen Entkopplung der kalten Trinkwasserleitungen von Wärmequellen grundlegend verändert werden!

Bild 3: Anzahl der Tage mit einem Tagesmaximum der Lufttemperaturen > 20 °C bzw. > 25 °C (Flughafen Köln-Bonn) in den Jahren 1958 bis 2020.
Bild 3: Anzahl der Tage mit einem Tagesmaximum der Lufttemperaturen > 20 °C bzw. > 25 °C (Flughafen Köln-Bonn) in den Jahren 1958 bis 2020.

Mit planerischen Maßnahmen muss dabei die Wärmeübertragung von Wärmequellen auf Kaltwasserleitungen reduziert beziehungsweise unterbrochen werden. Eine thermische Entkopplung der kalten Trinkwasserleitungen von potenziellen Wärmequellen lässt sich jedoch nicht immer ohne Weiteres realisieren, wie zum Beispiel bei horizontalen Verteilungskonzepten mit einer Verlegung der Leitungen in temperaturkritischen Zwischendecken. Bereits in diesem Fall kann bei zu geringem Wasserverbrauch die vom kalten Trinkwasser aus der Umgebungsluft aufgenommene Wärme nicht mehr abgeführt werden. Dies führt gegebenenfalls zu einer Temperaturerhöhung des kalten Trinkwassers auf Umgebungslufttemperatur. Zur Temperaturhaltung müssen daher zusätzlich noch aktive Prozesse etabliert werden, mindestens automatisierte Wasserwechsel- und Spülmaßnahmen. Aktive Prozesse zur Temperaturhaltung sind auch dann erforderlich, wenn Trinkwasserinstallationen nur periodisch genutzt werden, mit Leerstand an Wochenenden oder in Ferienzeiten und Stagnationsphasen über mehrere Tage beziehungsweise Wochen.

Montag, 29.11.2021

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